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DAS SCHWARZ, DAS WEISS UND EIN WENIG VOM ROT

Es gibt Orte, an denen sind das Schwarz und das Weiß zu hause. Landschaften, gekleidet in die äußersten Punkte der Farbskala: das dunkelste Dunkel, das hellste Hell. Gegenden, in die man über die Schulter zurückschaut ins Gestern. Dieser Blick ist nicht farbig, wie auch die Menschen und die sie umgebenden Dinge durch den Mangel an Farbe umso sichtbarer werden: die schwarzen Gesichter der Bergleute, das Weiß ihrer Augäpfel, nichts haftet mehr auf der Netzhaut. Gegensätzlichkeiten, die sich nicht ausschließen, sondern zur Wirklichkeit addieren. Der weiße Nebel der Inhalier-Geräte, das schwärzliche Sekret aus den Lungen der Männer. Der Schattenriss der Schornsteine, die Phalanx der Fördertürme im weißlichen Rauch der Abwärme. Sie ließen uns wissen, dass nichts wahr ist ohne sein Gegenteil. Wir brauchten keine chinesische Philosophie, die einen schwarzen Punkt ins Weiß tuscht, einen weißen ins Schwarz, um deren Ausschließlichkeit aufzulösen. Wir hatten den Anblick von Schnee auf Schlackehalden, von Kohlestaub auf gebleichter Wäsche und Rußflocken auf Milch in Emaille Kannen. Weiß auf schwarz die Kreide auf der Schiefertafel, der Zucker, den ich über die Kohlen schüttete zum besseren Anzünden des Ofens, des Sonntags weiße Kniestrümpfe zu schwarzen Lackschuhen.

Heinrich Böll hatte unrecht, als er 1958  schrieb: „Zwischen Duisburg und Dortmund ist Weiß nur ein Traum.“ Wir wussten es besser. Wir, die da lebten.

In der Allgegenwart der Kohle ist das Weiß umso leuchtender, lichter der Tag nach dem Dunkel der Grube. Stärker strahlen die Gesichter von Schneemännern unter Kohleaugen, die Eisblumen auf Fensterglas, gestärkte Tischdecken an Feiertagen. Unser Alltag war das Neben-einander, das Miteinander der Farben. Von Ebenholz, von Schnee und

ab und zu wie die von Blut. Rote Asche in aufgeschlagenen Knien, Sonnenbrände in Sommern, in denen das Wasser knapp wurde, Kartoffelfeuer im Herbst, die roten Fahnen am Tag der Arbeit. Ein Aufflackern von Glut im hell-dunklen Geflecht der Tage. Schwarz-weiß gescheckt, gefleckt die Kaninchen, die Tauben, ein weißes Porzellan-geschirr als Züchterpreis, der Kohlehaufen vorm Kellerloch, die Schwarz Kaue, die Weiß Kaue. Die schwarzen Tage, an denen nicht die Zechen starben, sondern die Menschen an und in ihnen.

Es gibt Orte, an denen sind das Schwarz und das Weiß zuhause. Landschaften, die zum Überleben, von Süden nach Norden, von außen nach innen gewandert sind.

Manche von ihnen nennt man Erinnerung.

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